Mittwoch, 29. April 2009

Zensuriert

















Wir haben Valérie am Flughafen abgeholt. Natürlich haben wir vorher Fotos von ihr gesehen; gestylt, geschminkt, veredelt. In Wirklichkeit sieht sie mädchenhafter aus, jünger und verletzlicher. Sie hatte eine ungewöhnliche Menge Gepäck bei sich, für einen 24- stündigen Aufenthalt. Auch ein reiches Gepäck an Lebenserfahrung, das sich rund um ihr ehemaliges ausschweifendes Sexleben und ihren Job als Escortgirl angesammelt hat.

„Im Kopf der Leute füllt Sex die Kammern bis an den Rand“, meint sie. „Aber uns fehlt die Sprache oder auch die Freiheit unverkrampft darüber zu sprechen. Dabei ist Sex eine zentrale Selbsterfahrung. Wir kommen uns in der Sexualität besser auf den Grund als in irgend einem anderen Bereich. Sex ist wie ein Gradmesser für unsere Fähigkeit zu verführen und verführt zu werden, für unsere moralischen Vorstellungen, unsere Lust am Entdecken, unsere Vorurteile, unsere Grosszügigkeit oder eben unseren Egoismus, für Lüge und Unredlichkeit, unsere Fähigkeit zu geniessen oder bloss zu beherrschen.“

Innerhalb der Sexualität wird unser Doppelmoral sichtbar, vorallem in ihrer Wahlheimat Spanien. Das obige Filmplakat zur Verfilmung ihres Buches „Tagebuch einer Nymphomanin“ wurde sowohl in Italien als auch in Spanien als vulgär und ordinär verboten. Dieselben Magazine, welche die Anzeige zensurierten, zeigten aber eine Zellulitisanzeige mit einem halb nackten Frauenkörper in einem Nano-String, die ihren Hintern lasziv und einladend in die Kamera reckt. Valérie ist davon überzeugt, hier eine patriarchalische und frauenfeindliche Haltung vorzufinden. Die Zellulitisanzeige zeigt die Frau als Lustobjekt, und das Filmplakat eine Frau die sich selber Lust bereitet. Als Lustobjekt wird sie akzeptiert. Als Frau die sich selber Lust bereitet von der Zensurkommission abgelehnt.

Valérie hat uns noch eine Menge aus ihrem Lebensgepäck vermittelt. Mehr darüber in einem kommenden Blog.

Wir werden versuchen, Valérie noch einmal in die Schweiz zu bringen, diesmal allerdings nicht im Rahmen einer Veranstaltung für Werbestrategen sondern für Leute, die mehr über Valérie erfahren wollen und über die Kunst der Verführung.

Redaktion: Stefan und Kurt

Sonntag, 26. April 2009

Tod einer Untröstlichen
















Susan Sontag starb am morgen des 28, Dezember 2004. Ihre letzten Worte waren: „ist David da?“. Dann: „Ich will dir sagen...“ zu mehr kam sie nicht mehr. Sie war 71 als sie starb.

David Rieff ist der Sohn des Popstars unter den amerikanischen Intellektuellen. Sie war schön und hipp. Eine Prinzessin der Bohémiennes. In seinem berührenden Buch, „swimming in a sea of death“ erzählt er in einer fast schon schmerzenden Aufrichtigkeit die letzten qualvollen Monate von Susan Sontag, einer Frau, die sich ihr Leben lang vor nichts fürchtete, die wie Jane Fonda im Vietnamkrieg Hanoi besuchte und die nordvietnamesische Bevölkerung mit viel Sympathie beschrieb und die mehrere Monate im besetzten Sarajevo verbrachte. Als Präsidentin des amerikanischen Pencenters hat sie sich furchtlos für Salman Rushdie eingesetzt, gegen den muslimische Fundamentalisten eine Fatwa aussprachen, die es jedem Muslim erlaubte, Rushdie niederzustrecken

Sie hat das Leben geliebt und in vollen Zügen genossen, ohne sich den gängigen Moralvorstellungen zu unterwerfen. Ihre Liebesbeziehung zu Annie Leibowitz, die als Fotografin der Rolling Stones Weltruhm erlangte, hat sie offen gelebt.

Doch als ihr Dr A. erklärte, dass sie an einer der tödlichsten Leukämieformen erkrankt sei, für die es keine Behandlungsmethode gäbe, brach Susan zusammen.

Sie hielt sich ihr ganzes Leben für etwas Besonderes und stützte sich auch in dieser Situation auf die Hoffnung, dass es irgendeine Behandlung geben müsste, welche zumindest ihr Leben so lange verlängern würde, bis eine Methode gefunden würde, die ihr Leben nochmals um einige Monate verlängern würde, wo dann allenfalls die Medizin auch diese Krankheit hätte besiegen können.

Und sie, die in allen Belangen unerschütterlich war, versank in Angst und Tränen. Sie die in allen Bereichen ihres Lebens Klarsicht bewiesen hat, verlor jedes Augenmass. Sie wollte nicht akzeptieren, dass sie sterblich ist und mutete sich jede noch so schmerzhafte Therapie zu, auch wenn sie noch so aussichtslos war.

Was mich an der Erzählung von David, um den Tod seiner Mutter berührt, ist ihre tiefe Menschlichkeit, die schonungslose Offenlegung ihrer Widersprüchlichkeit und damit unserer Widersprüchlichkeit. Wir alle können in einem Feld Helden sein und in andern Situation gewöhnlich und armselig werden. Hinter jedem Helden und jeder Heldin steckt ein ängstliches Wesen.

Gleichzeitig lese ich die vielgepriesen Biografie über den Mediamogul Rupert Murchoch,„the man who owns the news. Was für eine blutleere, oberflächliche, distanzierte Heldenverehrung.

Friedrich Nietzsche hat das Biografie-Phänomen folgendermassen beschrieben. „Welcher kluge Mann schriebe heute noch ein ehrliches Wort über sich? - Er müsste denn schon zum Orden der heiligen Tollkühnheit gehören.“

David Rieff, der Sohn von Susan Sontag gehört zu den wenigen Tollkühnen, auch wenn er sich selber nicht schont und sich als schwach, ängstlich und hilflos beschreibt.

Donnerstag, 23. April 2009

Sind wir bloss Schimpansen?












Ich habe im Zug an meinem heutigen Blog geschrieben, als mich ein älterer Herr anspricht: „Sind Sie Journalist“?

„Nicht schlecht geraten, aber was ähnliches. Ich arbeite in der Werbung“.

„Aha, Sie haben also diese Ideen, die man dann im Fernsehen vor der Tagesschau sieht! Ich selber bin überhaupt nicht kreativ“.

Dies höre ich fast jede Woche einmal. Für mich tönt das so ungeheuerlich, als ob jemand zu mir sagen würde, er wäre ein Schimpanse. Dabei müsste man richtigerweise sagen. Ich bin zwar kreativ, nutze diese Fähigkeit aber zu wenig, ja ich lass es sogar zu, dass diese verkümmert.

Es ist nicht bloss die Moralvorstellung, die uns von den Tieren unterscheidet, die Fähigkeit Gesetze zu erfassen und Abtrünnige zu bestrafen, oder Dingen eine Bedeutung zu geben, die sie nicht haben, zum Beispiel einen amerikanischen Hummer zu fahren, in der Meinung, besonders männlich zu wirken.

Nein. Es ist die Fähigkeit kreativ und innovativ zu sein, die das Menschsein ausmacht. Oder würden Sie über Ihren Hund sagen; Schatz, unser Struppi hat heute nachmittag die Idee gehabt, statt den Hundebisquits unser Kaninchen zu fressen?

Die Wissenschaft tut sich sehr schwer mit der Frage, ab welchem Zeitpunkt wir den Schritt vom Tier zum Menschen vollzogen haben, dabei lässt sich dies auf Stunden und Minuten festlegen. Es ist der Moment, wo ein Raubtier seinen Instinkt überwinden konnte und eine eigene unverschämte Idee hatte: zum Beispiel die, statt selber einer Antilope hinterherzujagen, dies dem Weibchen zu überlassen und sich stattdessen ins duftende Steppengras zu legen und dem Summen der Insekten zu lauschen.

Diese Entdeckung war wie eine Befreiung, welche den Weg frei zum Beispiel die Entzündung des Feuers und Jahrtausend später zum Beispiel die Biotechnologie.

Mit diesem Ereignis, an diesem Tag, fand der Wandel vom Tier zum Menschen statt, und gleichzeitig wurde die nachhaltigste und kraftvollste Energiequelle erschlossen, die auch nach Jahrtausenden noch freudig und ergiebig sprudelt.

Montag, 20. April 2009

Die enttäuschten Kronprinzen











Martin entschuldigte sich bei mir und sagte beim Herausgehen: „Weisst du, ich habe geglaubt, ich wäre auf dem Sprung zu einer grossen Karriere. Alles war klar für mich für die nächsten 10 Jahre. Ich war mir sicher, ich wäre der nächste Ospel. Und jetzt, nach meiner Entlassung fühle ich mich als ob ich von einer Axt getroffen wurde und weiss nicht, was nächste Woche ist, geschweige denn diesem Sommer. Ich habe alles verloren: meinen Job, mein Geld, mein Auto, meine Freundin“.

Nach diesem Gespräch dachte ich mir: wir leben tatsächlich auf einer einer Bruchstelle zwischen zwei Welten, die sich wie die Pazifische und Nordamerikanische Platte vor San Francisco übereinanderschieben und so die Erdbeben auslösen.

Da ist einmal der „I want - I can - I do Spirit“ der 2000-iger Jahre, wo wir dank Wohlstand und Web geglaubt haben, Kronprinzen und Kronprinzessinnen zu sein und kurz vor der Ernennung zum König stehen oder zumindest zum Mister Schweiz, zur Miss Ägerital, zum Mann des Jahres, zum Werber des Jahres, zum Reichsten Schweizer, zur Unternehmerin des Jahres. Und nachdem Platz für alle da war, verlief dies alles friedlich und organsiert.
Wir haben uns auf ein Set von Prinzipien geeinigt; auf etwas Kapitalismus, aber nicht zuviel, etwas sozial, aber nicht zu viel. Etwas grün, aber nicht übertrieben und Konsum, wenn möglich fair und ohne Umweltbelastung.

Wer immer seln Geld auf einem Sparbüchlein angelegt hat, galt als Verlierer. Wer nicht auf Facebook sein Ego vergrösserte oder sich in den Pausen auf youtube einloggte, galt als Flüchtling der Neuzeit, und wer nicht auf tillate zu den Schönen und Begehrten gehörte als Outsider. Die Dating Services haben uns alle virtuell attrakiv und begehrenswert gemacht.

Es sah aus, als ob die technischen Möglichkeiten und Features uns der Erhebung in den Adelsstand der Gewinner näher bringen würde.

Die Finanzkrise hat dann das Beben verursacht und uns brutal aus unseren Träumen gerissen. Schmerzhaft werden wir uns bewusst, dass diese Features weder unserer Karriere beschleunigt, noch bereichernde Freundschaften gebracht, noch unsere Kasse gefüllt haben. Wir sind nicht Könige geworden, wir waren nie Kronprinzen, nicht mal Prinzen, bloss gewöhnliche Menschen, die weiterkommen wollen.

Es wird uns klar, dass es nicht das Internet ist, das uns weiterbringt, nicht der neue Mac, nicht die schnellere Software, nicht unsere Fotos auf Tillate, nicht ein Logarithmuss, nicht ein neuer komplexer Hedgefund. Es sind immer noch dieselben Werte die schon vor Hundert Jahren Erfolg versprochen haben: Intelligenz, Neugierde, Ausdauer, die Fähigkeit zur Auseinanderserzung, die Fähigkeit Zuneigung zu zeigen, Treue, Zuverlässigkeit, Kreativität, echte Freundschaften.

So hat dieses Beben einen Vorteil. Es lässt uns wieder zurückbesinnen, auf die echten Werte, die schon seit Jahrhunderten gelten und universellen Bestand haben.

Es gibt eben keine Abkürzung zur Vollendung. Think

Samstag, 18. April 2009

Die Kunst der Verführung

Am 27. April ist Valerie Tasso bei der Account Planning Group zu Gast. Sie ist eine Meisterin der Verführung und wird uns in ihre Geheimnisse einweihen. Ich habe 5 Tickets zu je 20 Franken. Schreib mir auf kurtgallusschmid@gmail.com und du bist dabei.

Donnerstag, 16. April 2009

Martin













Ich weiss nicht, was mich gestern abend noch in die Kronenhallen Bar trieb, nachdem ich vom Barbecue bei Tom zurückfuhr. Eine Vorahnung vielleicht. Ich setze mich allein an ein Tischchen, bestell einen Gimlet, auf Gin Basis mit einem Spritzer Bier und da stolpert ein männliches Boss, Bally, Rolex Abbild an meinen Tisch, wie aus einem Lifestyle Magazin ausgeschnitten, und schüttet meinen Gimlet über den Tisch.

„Tut mir leid. Echt“. Und wirft sich neben mich in den Sessel. Und ohne Umschweife. „Sag mal, willst du meinen Astin Martin kaufen, für 73 Tausend kannst du ihn haben. Musst ihn einfach polieren: meine Ex hat nämlich mit dem Schlüssel „Schwein“ auf die Motorhaube geritzt. Sie hat mein Handy gekapert mit einigen eindeutigen Textmessages. So sind Frauen. So easy. Ich geh in nen Club und räum mir eine ab. Ich werde ihr keine Träne nachweinen“.

Er heisse Martin und hätte heute frei genommen. Sie hätten ihn eh entlassen.

„Mein Gott, wie wünsche ich mir den Ospel zurück. Das waren noch Zeiten. Als Relationship Manager habe ich easy 200 Tausend verdient und dann nochmals soviel Bonus, wenn du Kunden bringst und mit ihrem Geld ein bisschen rumjonglierst. Ich hätte auch zu McKinsey gehen können. Doch da machen sie dich kaputt. Das ist eine verschwörte Bande und als Einsteiger halsen die dir den ganzen Kram an, den sie nicht selber machen wollen“.

„Nein, ein Job am Paradeplatz ist da cooler. Ja klar, da gibts die alten reichen Säcke, die Zeit haben, dich jeden Tag anzurufen und am liebsten jede Woche vorbeikommen würden, vorallem wenn‘s etwas kribblig wird. Ich hatte für solche Fälle immer einen Upper dabei, damit ich in der Besprechung nicht vor Langeweile vom Stuhl fiel.

„Aber manchmal gehts zur Sache, wenn man an einen der Events geladen wird, mit der russischen Oligarchie. Da gehts ab, sag ich dir. Und die Frauen dort. Jetzt ist die Party vorbei. Mein Gott ich glaub, ich bringe mich um, gehe in die Wüste oder werde Taxichauffeur in der Bronx“.

„Dabei wollte ich immer Arzt werden. Seit ich als Kind die Bilder gesehen habe, von Waisenkindern in Afrika, deren Eltern an Aids gestorben sind. Und was ist von meiner Absicht geblieben? Eine Patenschaft bei World Vision. Nicht viel. Aber glaub mir.... - Wie heisst du eigentlich? Das ist das einzige worauf ich heute stolz bin“.



Think

Mittwoch, 15. April 2009

Life is what's happening, while you are busy making other plans.
















Die Familien Besuchov, Rostow und Bolkonski unterscheiden sich kaum von irgendeiner wohlhabenden Familie am Zürichberg, den Diplomatenvierteln von Bern oder an den Ufern des Genfersees. Dieselben Probleme: Geld, Kinder, Karriere, Liebschaften und dieselben Freuden: Geld, Kinder, Karriere, Liebschaften. Gefühle und Emotionen werden allerdings verstärkt durch die offene Aggression von einer Armee von 800‘000 Mann, die sich von Oesterreich nach Moskau wälzt.

Ich lese Krieg und Frieden nun zum dritten Mal, immer noch mit derselben Verbundenheit, wie beim ersten Mal. Natascha, Pierre, Andrej, Marja und Nikolaj stehen mir unterdessen ebenso nahe wie einige meiner engen Freunde. Sie haben ihren Platz in meinem Leben, und ich beobachte mich, wie ich manchmal im Laufe des Tages an Prinz Andrej denke oder Natascha und mich frage, wie es ihnen wohl geht und ob sie schlussendlich noch den Weg zueinander finden werden. Manchmal wünsche ich mir, Pierre würde sich zu mir an den Tisch setzen und sagen, Kurt lass uns gemeinsam etwas tun gegen Obrighörigkeit, Ignoranz, Armut und Krankheit in meinen Dörfern.

Was schafft diese Nähe? Was ist es, dass ich den Rostows und Besuchovs in meinem Leben so viel Platz einräume?

Es ist die Offenheit, mit der uns Tolstoi am Leben dieser Menschen teilhaben lässt, an den Parties und Freuden, aber auch an den Schicksalsschlägen, die innerhalb eines Augenaufschlages Freude in Leid verwandelt und dann wieder Hoffnung in Glück, nur um wieder in Wut und Trauer umzuschlagen. Da gibt es keine Imageberater, kein gut dastehen wollen oder Angst Ansehen und Status zu verlieren, wenn das Leben eine überraschende Wende bringt. Und die Wende kommt bestimmt. Was sagte John Lennon? Life is what‘s happening, while you are busy making other plans.


Think

Mittwoch, 8. April 2009

Die wunderbare Verwandlung von Geschichte in Dollars






Wasser wird zu Wein








Dass eine Verknuepfung zwischen Erbe und Zeitgeist wie Musik sein kann, etwas Magisches, ist in der Welt des Geldes am Offensichtlichsten. Die Vergangenheit, das Erbe kann in Franken und Dollar beziffert werden. Eine Louis Vuitton Tasche, die im Laden 3000 Dollar kostet, bringt dem Unternehmen 1500 Reingewinn. Hier findet eine wundersame Verwandlung von Geschichte in Dollars statt.

Ich denke aber auch an die Uhrenmarke Patek Philippe, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft optimal vereinigt, an Lindt Schokolade mit ihrem historischen Maître Chocolatier und den neuen exotischen Aromen oder Hiltl die vegetarischen Restaurants, die man früher noch Wurzelbunker genannt hat und über die ihr frommer Chef Hiltl heute sagt: wir haben die hippsten Frauen bei uns und über 30 Vodkadrinks im Sortiment.

Wer dagegen einseitig auf den Zeitgeist setzt, gehört zu den Verlierern, zum Beispiel Nelly Wenger mit ihrer schiefgelaufenen Neupositionierung von Cailler im Jahre 2006 und viele Grossbanken, die ihre Werte über Bord geworfen und ihre Zukunft mit der Karte des Zeitgeistes verspekuliert haben.

Wir werden in eine Kultur hineingeboren mit klaren Wertevorstellungen, über Jahrhunderte geprägt und von Generation zu Generation weitergegeben. Die humanistische Tradition der Schweiz zum Beispiel. Ein Sinn für Gastfreundschaft, der sich durch das wilde Transitlandschweiz mit ihren Hospitzen gebildet hat und die Fähigkeit kreativ mit der Tatsache umzugehen, dass wir über keine natürlichen Ressourcen verfügen. Aus den Hospitzen hat sich eine moderne zukunftgerichtete Hotelbranche entwickelt. Aus kleinen Uhrenwerkstätten, moderne Manufakturen mit Milliarden Umsätzen.

Im persönlichen Bereich haben wir vielleicht die grössten Schwierigkeiten eine Balance zwischen Geschichte und Zeitgeist zu finden. Entweder wir pflegen einen absonderlichen Jugendkult, wo die Alten mit ihrer Erfahrung und Weisheit in die Ghettos verbannt werden und die Jugend alle Bühnen besetzt. Oder wir idealisieren die Vergangenheit, wie es die SVP tut, und fahren so mit dem Blick im Rückspiegel in die Zukunft.

Wri sprechen häufig vom Röstigraben. Aber es gibt aber noch einen zweiten Graben, einer der weniger sichtbar ist, aber deswegen nicht weniger existent ist; der Graben zwischen Geschichte und Zeitgeist. Mehr darüber im nächsten Blog.

Samstag, 4. April 2009

Love Parade 1408 Love Parade 2008










Zwischen diesen beiden Bildern liegen 600 Jahre. Das linke Bild stammt aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry. Es wurde in der Zeit zwischen etwa 1410 und 1416 von den Brüdern von Limburg gemalt. Wegen der kunstvollen Ausführung zählt das Buch zu den größten Meisterwerken der Buchmalerei. Insbesondere die Kalenderblätter besitzen einen hohen dokumentarischen Wert für die Kenntnis der Lebensformen und Anschauungen der damaligen Zeit. Das Originalmanuskript befindet sich heute im Musée Condé im Schloss Chantilly.

Das rechte Bild stammt aus Facebook und gehört der Oeffentlichkeit. Es wurde im Sommer 2008 von einem unbekannten Hobby Fotografen aufgenommen und ist auf dem Web Jedem zugänglich. Wegen seiner Ausführung und Detailtreue besitzt das Bild einen hohen dokumentarischen Wert für die Kenntnis der Lebensformen und Anschauungen des Jahres 2008.

Wie wenig hat sich doch in 600 Jahren geändert: take me, love me, seduce me. Schau mal, wie cool ich bin, wie schön, wie potent und viril. 600 Jahre liegen dazwischen. Von den Wünschen und Bedürfnissen her bloss ein Augenaufschlag.

Die Inhalte sind dieselben, die Ausführung anders. Die Bedürfnisse sind dieselben, das Ausleben anders. Die Träume sind dieselben, die Moralvorstellungen sind anders.

Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als ob wir in der Neuzeit auch neue Menschen geworden wären, die durch eine unüberwindbare Bruchstelle von der Vergangenheit getrennt sind, mit dem Buch auf der einen Seite und dem Web auf der andern. Der gedruckten Landkarte auf der einen und GPS auf der anderen, den Digital Natives auf der einen Seite und den Digital Fugitives auf der anderen. Das Fotoalbum auf der einen Seite, Iphoto auf der anderen.

Und dabei liegt bloss ein Augenaufschlag dazwischen. Wer immer diese Schlucht überwindet oder sie sogar zusammenfügt gewinnt. Warum? Think!

Mehr drüber in einem nächsten Blog.